Über Histiozytose
Langerhans-Zell-Histiozytose, Histiozytose X, Eosinophiles Granulom, Hand-Schüller-Christiansen, Abt-Letterer-Siwe Syndrom
Die häufigste Histiozytose ist die Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH), auch Histiozytose X, Eosinophiles Granulom, Hand-Schüller-Christian’sche Erkrankung oder Abt-Letterer-Siwe Syndrom genannt.
Die LCH ist eine seltene, nicht vererbte, nicht ansteckende, reaktive Erkrankung unbekannter Ursache, die überwiegend im Kindesalter, aber auch bei Erwachsenen auftritt.
Ungefähr eines von 200.000 Kindern unter 15 Jahren erkrankt jährlich (in Deutschland ca. 40-50 Neuerkrankungen p.a.), 70-80 % der Kinder sind unter zehn Jahre alt.
Die Häufigkeit im Erwachsenenalter wird wahrscheinlich unterschätzt.
Die Histiozytose kann lokalisiert sein (ein Organ oder ein Knochen ist befallen) oder disseminiert (mehrere Organe oder Systeme sind betroffen).
Die typischen Vorkommen, nach dem Alter gestaffelt, können sein:
- die akute disseminierte Form, vor dem zweiten Lebensjahr
- die chronisch disseminierte Form, zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr
- die lokalisierte Form, meist nach dem fünften Lebensjahr
Prognose für Kinder
Der weitaus größte Teil der Kinder mit Langerhans-Zell-Histiozytose wird wieder gesund.
Manche können allerdings chronische Probleme haben, vor allem bei frühem Krankheitsbeginn, wie z. B. orthopädische Probleme der Wirbelsäule oder Zahnverlust.
In einigen Fällen entwickelt sich eine lebensbedrohliche Situation, da die meist sehr kleinen Kinder und Säuglinge mit disseminiertem Befall oft auf keine Therapie ansprechen.
Eine definitive Voraussage über Erfolg oder Misserfolg ist nicht möglich.
Jedes Kind ist ein Einzelfall.
Die Langerhans-Zell-Histiozytose ist eine prinzipiell gutartige Erkrankung, die aber einen bösartigen Verlauf nehmen kann.
Meist finden sich einzelne, lokalisierte Herde, deren Behandlung einfach und effektiv ist. Manchmal allerdings kommt es zu einem Befall verschiedener Organsysteme.
Die ausgedehnte Erkrankungsform tritt vor allem bei Kleinkindern oder Säuglingen auf und kann einen schwerwiegenden, lebensgefährlichen Verlauf nehmen.
Fast jeder Verlauf ist unterschiedlich und nicht vorhersehbar.
Es können folgende Symptome auftreten:
Allgemeinsymptome
sind z.B. Fieber, Schmerzen in den betroffenen Regionen, Erschöpfungszustände und Gedeihstörungen
Augen
Sehprobleme, Schielen, Exophtalmus (Vorwölbung) der Augen
Blutbildendes System
Blässe, vermehrte Infekte
Haut
Ausschlag, wie hartnäckiges Windelekzem
Knochen
einzelne oder mehrere Herde, die zu plötzlichen Knochenbrüchen führen können und/oder mit Schwellung und Schmerzen verbunden sind
Lunge
Husten, erschwerte Atmung
Lymphknoten
Schwellungen
Magen-Darm-Trakt
Durchfälle
Ohr
chronische Mittelohrentzündungen, rinnendes Ohr
Zähne, Zahnfleisch und Gaumen
Lose Zähne, Zahnverlust, geschwollenes Zahnfleisch
Zentrales Nervensystem
exzessiver Durst und Harnverlust (siehe auch Diabetes insipidus), Wachstumsstörungen
Diagnostik
Um die Ausdehnung der Langerhans-Zell-Histiozytose abschätzen zu können, müssen Blutuntersuchungen und Röntgenaufnahmen der Lunge sowie des gesamten Skeletts erfolgen.
Für die exakte Diagnosenstellung ist die Durchführung von CT- und/oder MRT-Untersuchungen befallener Organe und Biopsien einzelner Herde, des Knochenmarks oder auch der Leber notwendig.
Therapiemöglichkeiten
Bei manchen Patienten bildet sich die Langerhans-Zell-Histiozytose ohne Therapie zurück.
Bei anderen hingegen muss unbedingt eine Behandlung durchgeführt werden, um eine Heilung zu erreichen.
So werden lokalisierte Herde lokal mit einer Operation, einer Bestrahlung oder einer lokalen Cortisongabe behandelt.
In letzter Zeit entscheidet man sich eher zu einer „milden“ Chemotherapie, um Spätfolgen durch OP oder Bestrahlung auszuschließen.
Die ausgedehnten (disseminierten) Erkrankungsformen mit mehreren Krankheitsherden in verschiedenen Organen (multifokal) werden oft erfolgreich mit Chemotherapie ausgeheilt.
Die Häufigkeit der LCH im Erwachsenenalter ist unbekannt. Durch das vielfältige Erscheinungsmuster dieser Erkrankung sind Allgemeinmediziner und Ärzte nahezu aller Fachgruppen (insbesondere Internisten, Dermatologen, Orthopäden, Pneumologen, Kieferchirurgen, Neurochirurgen u. a.) für erwachsene Patienten die erste Anlaufstelle und nicht selten wird die Diagnose zufällig bzw. unerwartet gestellt.
Oft stellen die Initialsymptome jedoch nur die Spitze des Eisberges dar und nach einer exakten Untersuchung zeigt sich das gesamte Krankheitsausmaß. Die LCH wird auch bei Erwachsenen in Einzelorgan und Multisystembefall unterteilt, die Zuordnung von Risikoorganen kann bei Erwachsenen im Gegensatz zur Kinderheilkunde so nicht getroffen werden, aber als prognostisch kritisch gelten diffuser Leber- und ZNS-Befall.
Aus zahlreichen Studien liegen für Kinder umfassende Erfahrungen über das gesamte Krankheitsspektrum und Daten über die Häufigkeit, die Therapieansprechrate, sowie Nebenwirkungen und Spätfolgen vor.
Für erwachsene Patienten werden ähnliche Behandlungskonzepte durchgeführt, wobei manche Therapien wesentlich schlechter als im Kindesalter vertragen werden, was unter Anderem auch mit den häufiger vorliegenden Zusatzerkrankungen (wie z. B. Zuckerkrankheit) zusammenhängt.
Isolierter LCH-Befall bedarf meist keiner Systemtherapie und zeigt nach lokalen Behandlungen nur bei etwa einem Drittel der Patienten weitere Krankheitsaktivität nach Monaten bis Jahren. Ist ausschließlich die Lunge als Organ betroffen so stellt die Nikotinkarenz die erste und auch oft ausreichende Maßnahme dar. Bei multisystem-LCH ist in der Regel ein chronischer, wiederkehrender Verlauf zu erwarten, weshalb die Therapien jeweils an die aktuelle Krankheitsaktivität anzupassen sind.
Eine europäische Initiative zu dieser seltenen Krankheit stellt das europäische Konsortium für Histiozytose – ECHO Histio Net (echo-histio.net) dar, auf deren Homepage sie auch ärztliche Ansprechpartner in Ihrer Region finden können.
Information über die weltweite Vereinigung von Ärzten und Forschern finden Sie unter https://www.histiocytesociety.org.
Ursache
Die eigentliche Ursache der Langerhanszell-Histiozytose ist noch unbekannt, möglicherweise kommt es zu einer abnormalen Immunreaktion.
Die Therapie wird mit typischen Krebsmedikamenten (Etoposid, Vinblastin, 6-Mercaptopurin, Prednison, Methotrexat und Ifosfamid) sehr erfolgreich durchgeführt und die Patienten werden von Onkologen und Hämatologen betreut.
Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH)
Die hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH) ist eine sehr seltene und lebensbedrohliche Krankheit. Es gibt zwei unterschiedliche Formen der HLH: Die genetisch familiäre Form (FHL), bei der die Krankheit häufig bereits im Säuglingsalter ausbricht und die rezessiv vererbt wird. Auf der anderen Seite die sekundäre Form der HLH, die aufgrund einer anderen schweren Erkrankung in jedem Alter entstehen kann.
Für die familiäre Form FHL wurden mittlerweile verschiedene genetische Mutationen gefunden, die jeweils zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems führen. Infektionen können den Ausbruch oder Rezidive der Krankheit triggern. Die Krankheit ist durch eine Infiltration aller Organe durch Histiozyten und Lymphozyten charakterisiert. Bei Histiozyten, die im Knochenmark gebildet werden, handelt es sich um so genannte „Freßzellen“. Sie dienen der Infektbekämpfung und der Abwehr körperfremder Substanzen. Durch die verschiedenen Defekte der FHL kommt es zu einer überschießenden Aktivierung des Immunsystems.
Die Krankheit ist durch lymphohistiozytäre Infiltration aller Organe charakterisiert, die durch eine überschießende Aktivierung des Immunsystems verursacht wird. Die Krankheit beginnt meist im Säuglingsalter mit folgenden Symptomen:
Anhaltendes Fieber
oft verbunden mit sogenannten Banalinfektionen (Schnupfen, Mittelohrentzündung oder Durchfall usw.)
Leber- und Milzvergrößerung
seltener Lymphknotenschwellungen und Gelbsucht; Symptome des zentralen Nervensystems, wie Krampfanfälle
Reduzierter Allgemeinzustand, Blässe
Diagnostik
Die Patienten leiden meist an Fieber und einer Vergrößerung der Milz und der Leber.
Bei Laborchemischen Untersuchungen finden sich folgende Befunde:
Verminderung der Blutzellen aller Systeme (Panzytopenie), zumindest aber zweier Systeme (meist Anämie und Thrombozytopenie).
Erhöhung der Fettwerte im Blutserum (Hypertriglyceridämie).
Verminderung des Blutgerinnungsfaktors (Hypofibrinogenämie) und Erhöhung der Leberwerte.Für die Diagnosestellung ist eine Untersuchung des Knochenmarkes durch eine Punktion in den Beckenkamm erforderlich. Doch selbst dann ist die HLH nicht immer pathologisch nachweisbar, so dass oft nur der klinische Verlauf die Diagnose erhärtet.
Es kann zusätzlich ein Befall des zentralen Nervensystems (ZNS) vorliegen, so dass Untersuchungen des Nervenwassers (Liquors) mittels Entnahme aus dem Wirbelkanal erforderlich sind.
Eine wichtige Untersuchung ist die Funktion der natürlichen Killerzellen aus dem Blut, die bei den Patienten vermindert ist.
Außerdem findet sich der lösliche IL-2 Rezeptor, der sonst gebunden auf Immunzellen vorkommt, deutlich erhöht im Blut.
Therapiemöglichkeiten
Ist eine HLH diagnostiziert, wird mittels einer Kombination aus Zytostatika und Cortison oft eine Remission (Zurückgehen der Krankheitserscheinungen) erzielt. Bei der sekundären Form muss die auslösende Grunderkrankung behandelt werden.
Bei der familiären HLH ist die einzig aktuell verfügbare Therapie die zu einer Heilung führt die Stammzelltransplantation. Im Falle des Nichtvorhandenseins eines Familienspenders sollte eine Fremdspendertransplantation vorgenommen werden. Zwischenzeitlich wird versucht, die Krankheit durch Zytostatika, Cortison und andere immunsuppressive Medikamente in Schach zu halten.
Eine gute Prognose besteht zurzeit nur durch eine erfolgreiche Stammzelltransplantation. Diese wird auch Knochenmarktransplantation (KMT) genannt. In sehr selten Fällen kann es trotz einer KMT zu einem Rezidiv (Wiederauftreten) der Krankheit kommen.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es mehrere internationale Therapiestudien der Histiocyte Society, welche neue Therapiemöglichkeiten untersuchten.
In Deutschland setzen sich Herr PD. Dr. Kai Lehmberg (UKE Hamburg) im Rahmen des Nationales HLH-Referenzzentrum und Herr Prof. Stephan Ehl als Direktor des Centrum für Chronische Immundefizienz in Freiburg intensiv für die Behandlung der HLH ein.
Dennoch sollte man nichts unversucht lassen, diese Krankheit in der Öffentlichkeit und insbesondere bei den niedergelassenen Kinderärzten bekannter zu machen, um die Sensibilität für HLH/FHL zu erhöhen und somit den erkrankten Kindern die einzige Überlebenschance zu wahren, die sie haben: die Diagnosestellung und Therapie bis hin zur Knochenmarktransplantation.
Die Histiozyten richten sich nicht nur gegen fremde Substanzen, sondern greifen auch den eigenen Körper an. Ohne eine rechtzeitige Therapie der HLH führt diese Überaktivierung des Immunsystems zum Tod. Es ist anzunehmen, dass es eine hohe Dunkelziffer an Erkrankungen gibt, da die HLH unter Symptomen verläuft, die man auch bei banalen Infektionen finden kann. Oft wird die Erkrankung erst durch eine familiäre Häufung erkannt, d.h. durch die Erkrankung eines Geschwisterkindes.
Das Eosinophile Granulom
Das Eosinophile Granulom wird häufig noch als Bezeichnung für die Langerhanszell-Histiozytose (LCH) verwendet.
Mehr Informationen erhalten Sie somit bei LCH.
Der Diabetes insipidus
Der Diabetes insipidus ist eine zusätzliche Erkrankung, die durch die Histiozytose ausgelöst werden kann. Beim Diabetes insipidus (DI) sind die Nieren nicht mehr in der Lage, die Flüssigkeit den Erfordernissen des Organismus entsprechend anzupassen. Die Folge ist das Ausscheiden von großen Urinmengen. Das wiederum führt zur Austrocknung des Körpers und zu starkem Durstgefühl. Ein DI macht sich somit immer durch die Aufnahme großer Flüssigkeitsmengen bemerkbar.
Wird der DI rechtzeitig erkannt, kann er durch die Therapie mit Minirin im Anfangstadium wieder geheilt werden. Wird die Behandlung zu spät begonnen, so sind die Folgen des DI nur noch durch die dauerhafte Einnahme von Minirin (einem Ersatzhormonstoff) aufzuhalten.
Die hohe Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe
wird durch die fehlende Wirkung des antidiuretischen Hormons (ADH, Vasopressin) verursacht. Die meisten Formen des DI sind durch eine fehlende oder mangelhafte Bildung des ADH im Zwischenhirn (Hypothalamus) bzw. durch die fehlende Freisetzung des Hormons Vasopressin aus der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) bedingt. In wenigen Fällen ist auch eine fehlende Hormonwirkung an der Niere für die Erkrankung verantwortlich.
Da die Histiozytose auch das Zentrale Nervensystem (ZNS) angreifen kann, besteht bei einem Befall des Schädels immer die Gefahr eines Diabetes insipidus. Erhöhte Aufmerksamkeit über das Trinkverhalten des Erkrankten ist unbedingt geboten.
Die Untersuchung für eine Diagnose
beginnt für den Betroffenen mit einem „Dursttest“. Dabei wird der Patient aufgefordert, für 6-8 Stunden keine Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
Es wird geprüft, ob der Patient in der Lage ist, die Urinproduktion zu vermindern und den Urin zu konzentrieren. Wenn das nicht der Fall ist, erhält der Patient geringe Mengen Vasopressin (i.d.R. durch eine Injektion), um die Wirkung zu testen. Sofern das Hormon Vasopressin im Blut fehlt, reagiert der Körper mit einem deutlichen Rückgang der Urinmenge.
Beim Diabetes insipidus muss das fehlende Hormon Vasopressin ersetzt werden.
Vasopressin, das natürlich vorkommende Hormon, wirkt an der Niere nur kurzfristig. Deswegen wurde ein langwirkendes und nur an der Niere angreifendes Vasopressin (DDAVP oder Desmopressin) entwickelt, das nur zweimal pro Tag verabreicht werden muss. Es wird als Nasentropfen oder Nasenspray verabreicht.
Studien
Mittels prospektiver internationaler Studien (LCH I-III) wurde eine standardisierte systemische Therapie etabliert, die gut verträglich ist und selbst in Ländern mit limitierten Ressourcen durchgeführt werden kann.
Dabei konnten die Überlebenschancen der Kinder mit multisystemischer LCH wesentlich verbessert werden und diese betragen aktuell > 90%.
Selbst bei Patienten mit der schwersten Krankheitsform (gekennzeichnet von Organfunktionsstörung) beträgt die Überlebensrate 86%.
Der Einsatz zielgerichteter Medikamente (BRAF- bzw. MEK- Inhibitoren) wird derzeit geprüft und lässt die Hoffnung, dass zukünftig alle Kinder mit LCH geheilt werden können.